Was Kreativität und Schummelei gemeinsam haben

Ein Artikel aus dem Economist hat mich wieder mal auf die alte Frage gestossen, wie man Kreativität fördert. Ein Experiment “Evil Genius” (s.u.) deutet an, dass unehrliches Verhalten zu mehr Kreativität führt. (Die Umkehrung gilt übrigens auch.)

Jetzt möchte ich ja Menschen nicht zu unehrlichem Verhalten anstiften, um Kreativität zu fördern. Zum Glück gibt es eine Gemeinsamkeit, welche wir ausnützen können: Sowohl Schummelei als auch Kreativität basieren auf dem Verletzen von Regeln. Man bricht aus dem Korsett des Konventionellen aus; tut Dinge, die “man nicht macht”; sagt Sachen, die “man nicht sagt”; stellt Verbindungen her, die man sonst nicht herstellt; kreiert Dinge, die auf den ersten Blick unverständlich, sinnlos, überrissen, abwegig oder unbrauchbar erscheinen.

Ist es aus der Sicht einer Firma oder Organisation also am besten, gar keine Regeln zu haben? Dann können die Mitarbeitenden ja völlig frei der Kreativität ihren Lauf lassen. Ich denke nicht. Denn es geht nicht nur um die offiziellen, niedergeschriebenen Regeln. Sondern auch oder sogar vor allem um die impliziten, sozialen. Wie man Dinge tut in dieser Organisation. Firmenkultur. Gewohnheiten. Gegenseitige Erwartungen. Und noch perfider: Die Regeln in unserem eigenen Kopf. Verhaltensweisen, Antriebe und Hemmungen tief in uns drin. So tief, dass wir sie schon als Teil unserer Persönlichkeit empfinden und gar nicht mehr wahrnehmen, dass sie uns behindern.

Was braucht es, dass Menschen den Ausbruch wagen? Ein Professor von mir hat das mit dem Wort Chutzpah bezeichnet, was soviel wie Dreistigkeit oder Wagemut bedeutet. Man muss ein bisschen dreist sein, um Regeln zu brechen, ein bisschen wagemutig, um sich akzeptierten Konventionen zu widersetzen.

Was heisst das in einem Organisationskontext? Nicht zu viele, zu strikte Regeln. Unbequeme Leute aushalten, schätzen, einstellen. Ideen nicht zu früh mit Nutzennachweisen ROI abtöten. Raum geben. Spass haben. Keine abschliessenden Listen produzieren.


Die Kurzform: The Economist: Creativity and Cheating

Original-Artikel: “Evil Genius? How Dishonesty Can Lead to Greater Creativity”, Francesca Gino, Scott S. Wiltermuth